Rede von Pfarrer Thomas Wipf

Es gilt das gesprochene Wort
Bern. Medienkonferenz vom 15. Oktober 2009 zur Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten"

Der Schweizerische Rat der Religionen setzt sich aus leitenden Personen der drei Landeskirchen, der orthodoxen Kirchen sowie der jüdischen und islamischen Religionsgemeinschaften zusammen. Er wurde am 15. Mai 2006 gegründet mit dem Mandat, den religiösen Frieden in der Schweiz zu erhalten und zu fördern, das Vertrauen zwischen den Religionsgemeinschaften zu stärken, aktuelle religionspolitische Fragen zu besprechen und als Kontaktmöglichkeit für Bundesbehörden zu dienen.

Der Schweizerische Rat der Religionen lehnt die Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten" einstimmig und entschieden ab. Er hat die Argumente, die ihn zu dieser Haltung führen, in einer Stellungnahme erarbeitet und am 2. September 2009 der Öffentlichkeit vorgestellt. Ich bin eingeladen worden, hier die wichtigsten Gesichtspunkte nochmals kurz zusammenzufassen.

Kulturelle und religiöse Vielfalt gehört zur Identität der Schweiz. Die Regeln des friedlichen Zusammenlebens sind in einer langen Geschichte ausgehandelt worden. Sie sind so selbstverständlich, dass sie vielen Menschen gar nicht mehr bewusst sind: Im Zentrum des demokratischen Selbstverständnisses stehen die von der Verfassung garantierten Freiheitsrechte. Sie bilden das unabdingbare Fundament für ein friedliches und respektvolles Zusammenleben. Die Integration der islamischen Glaubensgemeinschaft in die schweizerische Gesellschaft ist eine neue Herausforderung. Aber aus ihrer Geschichte kennt die Schweiz solche Herausforderungen, und sie ist immer gestärkt aus solchen Erfahrungen hervorgegangen. Die kulturelle Vielfalt macht die Schweiz stark.

Religion gehört zum Menschsein und zur menschlichen Kultur. Die Religionsfreiheit ist deshalb ein zentrales und grundlegendes Freiheitsrecht. Jeder Mensch soll in Freiheit seine Religion leben können, individuell und gemeinschaftlich. Dazu gehört auch, dass jede Religionsgemeinschaft ihre Gotteshäuser so bauen kann, wie dies ihrem Selbstverständnis entspricht. Wenn zu einem würdigen islamischen Gotteshaus auch ein Minarett gehört, dann soll dieses im Rahmen der geltenden Bau- und Umweltschutzgesetzgebung und im sensiblen Gespräch mit der Bevölkerung auch gebaut werden dürfen.

Das Minarettverbot instrumentalisiert Religion für politische Zwecke. Es schafft Misstrauen und Argwohn zwischen Bevölkerungsgruppen in unserem Land. Es schadet dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das Minarettverbot trifft nicht nur eine Religionsgemeinschaft, es trifft vor allem die Menschen, für die diese Religion für ihr persönliches und gemeinschaftliches Leben wichtig ist. Alle Menschen sind Geschöpfe Gottes: diese Überzeugung ist das Gemeinsame, das das Christentum, das Judentum und der Islam miteinander teilen. Respekt und Toleranz vor den Überzeugungen anderer gehören zur Würde und zur Aufgabe des Menschseins und ist die Grundlage für religiösen Frieden.

Das Recht auf den Bau von Moscheen und Minaretten in der Schweiz darf nicht davon abhängig gemacht werden, ob in islamischen Ländern Christen und Juden die gleichen Rechte haben. Das wäre ein Verrat an unseren eigenen Werten und Grundsätzen. Unrecht, auch an Menschen in andern Staaten und Gesellschaften, ist als Unrecht zu benennen; es darf aber nicht mit neuem Unrecht vergolten werden. Die Schweiz hat eine lange liberale Tradition, in der das Gespräch gesucht wird und man sich um gemeinsames Lernen bemüht. Unsere Herausforderung besteht darin, Vielfalt so zu gestalten, dass friedliches und respektvolles Zusammenleben gelingt.

Die Unterschriften für die Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten" zeigen, dass in der Bevölkerung Fragen, Unsicherheiten und Ängste vorhanden sind. Diese gilt es ernst zu nehmen. Welche Botschaft wird in den Moscheen gepredigt? Welche Bedeutung haben aus islamischer Sicht die Demokratie, der Rechtsstaat, die Gleichstellung von Mann und Frau? Solche Fragen dürfen gestellt werden und müssen offen diskutiert werden.

Die Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten" ist kontraproduktiv. Sie verhindert den Dialog, statt ihn zu fördern. Der Schweizerische Rat der Religionen ruft dazu auf, die Integration der islamischen Gemeinschaften mit konkreten Massnahmen zu fördern. Die Schaffung von Möglichkeiten der Begegnung und des Dialogs auf allen Ebenen ist ein wichtiges Element. Für den Schweizerischen Rat der Religionen ist es wichtig, die einzelnen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht zwar um andere Kulturen, um andere Religionen – aber es geht immer zuerst um Menschen. Um Menschen aus anderen Kulturen, um Menschen mit anderen Religionen.

Die Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten" diskriminiert, grenzt aus und gefährdet so den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das friedliche Miteinander der Religionen in unserem Land.

Letzte Änderung 15.10.2009

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