"Frauen sind oft kostenbewusster"

Südostschweiz, Christian Dorer, Gieri Cavelty
Südostschweiz: "Am Montag werden die Bundesrats-Departemente neu vergeben. Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf traut sich einen Wechsel in das Eidgenössische Finanzdepartement zu - sie bringe ja die nötige Erfahrung mit."

Frau Bundesrätin Widmer-Schlumpf, was halten Sie von Ihren neuen Amtskollegen Simonetta Sommaruga und Johann Schneider-Ammann?
Eveline Widmer-Schlumpf: Insbesondere Simonetta Sommaruga kenne ich gut. Wir haben unter anderem für die Patent-Vorlage sehr gut zusammengearbeitet. Auch zu Johann Schneider-Ammann habe ich einen guten Draht. Ich freue mich auf beide neuen Kollegen.

Gewinnt der Bundesrat nun an Führungsstärke?
Beide sind lösungsorientierte Politiker und Teamplayer. Dadurch erhoffe ich mir, dass wir als Bundesrat geschlossen auftreten. Die beiden neuen Kollegen bringen dieses Verständnis sicherlich mit.

Allerdings werden SP und FDP ihre neuen Bundesräte im Wahlkampf als Zugpferde einspannen. Ist das nicht hinderlich für die Kollegialität?
Nein. Beide haben einen sehr guten Leistungsausweis. Frau Sommaruga als Konsumentenschützerin und Politikerin, Herr Schneider-Ammann als Unternehmer und Politiker. Es ist legitim, dass die Parteien auf diese Fähigkeiten hinweisen werden.

Erstmals gibt es eine Frauenmehrheit im Bundesrat. Geht es nun weniger hart zu und her?
Frauen politisieren doch nicht weniger hart als Männer. Es ist ein grosser Vorteil, dass das Bundesratsgremium gemischt ist. Der Umgang in gemischten Gremien ist anders, nämlich von grösserem gegenseitigem Respekt und mehr Aufmerksamkeit geprägt. Ausserdem bringen Frauen einen anderen Erfahrungshorizont mit, speziell dann, wenn sie Kinder aufgezogen haben. Das kann durchaus dazu führen, dass gewisse Themen anders angegangen werden.

Dann gibt es in Zukunft beispielsweise mehr Geld für die Kinderkrippen.
Selbstverständlich gibt es bei sozialpolitischen Themen andere Sensibilitäten. Allerdings sind Frauen oft auch kostenbewusster als ihre Männer. In vielen privaten Haushalten sind die Frauen für die Finanzen zuständig.

Am Montag werden die Departemente neu verteilt. Möchten Sie wechseln?
Die Frage ist nicht, ob ich wechseln will. Wichtig ist, dass die Departementsverteilung möglichst sinnvoll gestaltet wird. Die Arbeit im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) gefällt mir, und sie ist überhaupt nicht technisch oder gar langweilig, wie oft geschrieben wird. Ich bin aber auch bereit, ein anderes Departement zu übernehmen, wenn das sinnvoll wäre.

Möchten Sie Finanzministerin werden?
Wie gesagt: Wir werden im Bundesrat diskutieren, welche Konstellation am besten ist. Die Erfahrung für dieses Departement hätte ich, ich war ja zuvor Finanzdirektorin des Kantons Graubünden und bin Stellvertreterin des Finanzministers.

Könnte ein Wechsel auch einen strategischen Hintergrund haben mit Ausblick auf die Wahlen 2011: Als Finanzministerin machen Sie sich unentbehrlich.
Nein! Die Verteilung muss völlig unabhängig davon gemacht werden. Strategische Überlegungen wären völlig falsch.

Muss man Juristin oder Jurist sein, um das EJPD zu führen?
Nein. Es verlangt auch niemand, dass ein Ökonom das Volkswirtschafts- oder ein Oberst das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport führt. Aber es ist sicher kein Nachteil, wenn man eine juristische Ausbildung hat.

Am Mittwoch äusserte sich die FDP in die Richtung, dass sie den Anspruch der SVP auf einen zweiten Bundesratssitz bei den Wahlen 2011 anerkennt. Machen Ihnen diese Aussagen Angst?
Nein, das war ja nicht die erste Aussage dieser Art. Wenn die Bundesversammlung jetzt Jean-François Rime gewählt hätte, wäre meine Po-sition auch nicht sicherer gewesen. Dann würde 2011 die FDP «meinen» Sitz ins Visier nehmen. Die Bundesversammlung entscheidet, ob der Bundesrat allein unter arithmetischen Konkordanzkriterien zusammengesetzt wird.

Was finden Sie: Ist der Anspruch der SVP auf einen zweiten Sitz gerechtfertigt?
Nach den Wahlen 2007 war dieser Anspruch gerechtfertigt, und die SVP hatte ja auch zwei Sitze. Dass die Partei mich und die ganze Bündner Kantonalsektion ausgeschlossen hat, ist nicht die Schuld des Parlaments. Das Parlament wählte zwei Vertreter der SVP.

Und 2011?
2011 bin ich nicht mehr SVP- sondern BDP-Vertreterin.

Wie wollen Sie da wiedergewählt werden? Ihre Partei wird lediglich auf fünf Prozent Wähleranteil kommen.
Das sagen Sie. Die BDP wurde schon oft unterschätzt.

Selbst wenn es mehr sein wird: Aus arithmetischer Sicht kann die BDP keinen Anspruch auf einen Bundesratssitz erheben.
Das kann und will ich nicht beurteilen. Das Parlament muss entscheiden, nach welchen Kriterien es den Bundesrat zusammensetzen möchte, ob rein rechnerisch oder ob auch die Erfahrung und die Leistung zählt. Stabilität ist auch wichtig für eine Regierung.

Werden Sie 2011 sicher zur Widerwahl antreten?
Das weiss ich heute noch nicht. Ich werde diese Frage nächstes Jahr nach den National- und Ständeratswahlen mit meiner Partei besprechen.

BDP-Präsident Hans Grunder plädiert für eine inhaltliche Konkordanz und schliesst einen Ausschluss der SVP aus dem Bundesrat nicht aus.
(lacht) Herr Grunder ist ein kreativer Kopf. Das heutige System funktioniert. Die Schwierigkeit besteht darin, wenn eine Partei im Bundesrat ist, aber trotzdem ständig Oppositionspolitik betreibt. Die SVP hat immer beide Rollen gespielt; auch als sie - nach ihrer Diktion - noch zwei Bundesratssitze hatte.

Hätten Sie als SVP-Bundesrätin dieses Doppelspiel mitgespielt?
Ich würde sicher nicht anders politisieren, als ich es getan habe und heute noch tue.

Ihnen wird eine Tendenz zum Populismus vorgeworfen: Sie hätten bei allen Vorlagen, die Sie behandeln, immer Ihre Wiederwahl im Kopf.
Das ist eine Unterstellung. Tatsache ist: Es entspricht meiner politischen Überzeugung, dass man Zugeständnisse machen muss, wenn man feststellt, dass man für eine Vorlage keine Mehrheit im Parlament findet. Wenn man mir das zum Vorwurf macht, kann ich das nicht nachvollziehen. Es bringt doch nichts, wenn man heroisch gegen eine Wand läuft! Ich versuche Vorlagen im Voraus mit Politikerinnen und Politikern aus allen politischen Lagern zu besprechen, um tragfähige Lösungen zu erarbeiten. Nehmen Sie die Vorlage zur gemeinsamen elterlichen Sorge ...

... da haben Sie Ihre Meinung zum Beispiel geändert.
Wir sind, nach Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Fraktionen, auf einem guten Weg zu einer wahrscheinlich mehrheitsfähigen Lösung. Die Interessenvereinigungen geschiedener Väter fordern schon seit Jahren mehr Rechte. Es gab dazu diverse Vorstösse, welche aber allesamt nicht erfolgreich waren. Wir versuchen es nun erneut. Die neue Lösung entspricht nicht in allen Teilen meiner persönlichen Überzeugung - aber nur so ist sie mehrheitsfähig. Und nur so kommen wir in der Politik weiter.

Noch eine Frage zur Abzocker-Initiative: Man hat den Eindruck, das Parlament schiebt dieses Begehren auf die lange Bank.
Diese Gefahr besteht. Je weiter die Finanzkrise zurückliegt, desto schwieriger wird es werden, griffige Regelungen durchzubringen. In diesem Sinne bin ich auch für den direkten Gegenvorschlag des Nationalrates. Dieser enthält sachgerechte Lösungen und verzichtet - im Gegensatz zur Abzocker-Initiative - auf Strafbestimmungen, die nicht in die Bundesverfassung gehören. Ich bin aber auch deswegen für den direkten Gegenvorschlag, weil bei einem so wichtigen Thema die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger selbst ihre Meinung kundtun sollen.

Letzte Änderung 24.09.2010

Zum Seitenanfang